Gewaltfreie Kommunikation

"Gewaltfreie Kommunikation ist Gewalt pur" schrieb jemand in einem Forum.
Ich muss ihm Recht geben.

Beispiel 1 aus Wikipedia

In Wikipedia ist die Gewaltfreie Kommunikation aus dem Elfenbeinturm erklärt, und das zitierte Beispiel endet gerade dort, wo es eigentlich schwierig wird:

A (aggressiv): "Du verhältst dich in der Küche total schlampig!"
E (angeblich empathisch): "Du hast wiederholt dreckiges Geschirr vorgefunden?"
A: "Ich fühle mich provoziert, es ist dir total egal, dass hier so ein Dreck ist. Du bist ein/e Schlampe/r."
E: "Bist Du frustriert weil du dir mehr Unterstützung wünschst?"
A: "Wenn es in zwei Wochen nicht sauber ist, dann schmeiß’ ich dein Geschirr weg!"
E: "Wünschst du dir, dass wir eine konkrete Absprache über das Spülen machen?"

Ja was denn sonst? Natürlich will der Frustrierte eine Lösung.

Etwas ausführlicher und drastischer ist das folgende Beispiel:

Beispiel 2 aus dem Buch
"Laß uns mal 'ne Schnecke angraben"

In diesem Buch aus dem Jahr 1984 erklärt und analysiert der Diplom­psycho­loge Claus Peter Müller-Thurau die damalige Jugendsprache, auch Sponti-Sprache genannt. Im Gegensatz zur weich gewaschenen Sprache des Establishments war die Sponti-Sprache sehr emotional.

Hier ein Ausschnitt aus dem Kapitel "Schlupfwinkel der Sprache".

»Emotionen? Nein – Emotionen lasse ich mir nicht vorwerfen!«

Gefühle werden mit Schwäche gleichgesetzt, Gefühlsausbrüche mit mangelnder Selbstkontrolle und Unberechenbarkeit. Das Zusammenleben – ein Pokerspiel. Damit man das durchhalten kann, haben Psychologen einen besonders raffinierten Kniff erdacht und propagiert. Wer ihn »drauf« hat, so die wissenschaftliche Verkündigung, kann viel Segensreiches bewirken.

Keine spontane Äußerung, keine persönliche Marotte mehr – was zählt, ist das Kalkül.
Man muß tüchtig trainiert werden, um dahin zu kommen – aber ist das eigene Sprechen erst einmal weitgehend vom Zufälligen und Individuellen »gereinigt«, läuft es etwa so ab:

A (ahnungslos, da nicht trainiert): »Es ist ja schon wieder ganz schön spät geworden!«
V (trainiert): »Es betrübt Dich, wenn ich unpünktlich bin, nicht wahr?«
A: »Sauer bin ich! Du könntest ruhig mehr Rücksicht auf mich nehmen.«
V: »Du wünschst Dir also, daß ich Deine Bedürfnisse stärker beachte – Du hast das Gefühl, daß Du zu kurz kommst, ja?«
A: »Ich glaub', mich streift ein Bus! Du machst doch immer, was Du willst!«
V: »Ist es so, daß Du Dich von mir nicht richtig akzeptiert, ja oft übergangen fühlst?«
A: »Du hast es geschnallt! Und überhaupt – auf der einen Seite erwartest Du, daß ich hübsch zu Hause hocke und auf Dich warte – und wenn Du dann irgendwann endlich auftauchst, soll ich auch noch fröhlich sein!«
V: »Irgendwie bist Du dann deprimiert und kannst Dich nicht mehr spontan freuen.«

Das kann lange so weitergehen, aber irgendwann geht A in die Knie.

V hat dabei natürlich keineswegs ein schlechtes Gewissen im Gegenteil: Er hat alles, was gemeinhin als boshaft bezeichnet wird, unterlassen – er hat Vorwürfe nicht heruntergespielt, sich nicht herausgeredet, keine Gegenrechnung aufgemacht, nicht angegriffen, nicht bockig reagiert; stattdessen hat er versucht, die wahren Gefühle seines Gesprächspartners zu erkennen und zu formulieren. Diese Methode ist, zumindest vom Ergebnis her gesehen, hinterhältig. Das ahnungslose Gegenüber wird »auf die Couch« verfrachtet, denn, daran wird kein Zweifel gelassen – er hat ein Problem, nein, er ist das Problem. Er kann klagen, toben, schimpfen und wird doch immer nur auf sich zurückgeworfen: »Du fühlst Dich jetzt…« Polemisch überspitzt bleiben ihm nur zwei Möglichkeiten angesichts der undurchdringlichen Kruste rationaler Freundlichkeit: resignieren oder Amok laufen.

Fazit

Die gewaltfreie Kommunikation entspricht in ihrem Verhalten der Gesprächstherapie nach Rogers (von der sie ja auch abgeleitet ist) und dem "Aktiven Zuhören" aus der Kindererziehung. Diese Methoden kann man als Therapeut oder Eltern wunderbar einsetzen, damit verärgerte Menschen sich über ihre Gefühle klar werden, sich beruhigen, und dadurch fähig werden, ihr Problem konstruktiv zu lösen.

Aber wenn man an der Ursache des Ärgers selbst beteiligt ist, lässt man den anderen dadurch nur ins Leere laufen und erhöht so seinen Stress und Ärger. Irgendwann gibt er dann auf und revanchiert sich hinterrücks, wenn er nicht sogar zuschlägt.

Als Beteiligter muss man vielmehr lösungsorientiert handeln, indem man den anderen unklare Vorwürfe selbst konkretisieren lässt, und sich unter Berücksichtigung beider Grenzen am Aushandeln einer Lösung beteiligt.