Aufbruch in den Ruhestand

Der Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand ist ein bedeutender Schritt im Leben eines Menschen. Vergleichbar mit der Einschulung oder mit dem Übergang von der Schule ins Erwerbsleben.
Im Gegensatz zu diesen Schritten steht den Menschen allerdings keine vorgegebene Führung zur Verfügung, jeder muss sich in eigener Verantwortung neu orientieren. Der nachfolgende Text bietet einen Einstieg in das Thema. Außerdem sind bei zahlreichen Fachleuten individuelle Beratungen gegen Entgelt möglich.

Was kennzeichnet die Erwerbstätigkeit?

Die Erwerbstätigkeit fordert Leistung, bringt Anerkennung, fordert zu Auseinandersetzungen heraus, gibt Möglichkeiten zur Selbstdarstellung und vermittelt Zugehörigkeit zur Leistungs­gesell­schaft. Jeder Arbeitstag bringt Kontakte. Informationen werden ausgetauscht, Meinungen werden gebildet. Es gibt kameradschaftliche Kontakte und Freundschaften, aber auch negative, belastende Erfahrungen in der Zusammenarbeit wie Konkurrenz und Missgunst. Die Vorgaben der Arbeitswelt prägen den Lebensrhythmus, und das über Jahrzehnte.

Was kennzeichnet den Ruhestand?

Der Ruhestand bringt mehr Freiheit, weniger Vorgaben, fordert aber gerade deswegen zu mehr Eigenverantwortung heraus.
Er darf(!) ruhiger verlaufen.

Abwärts

Man hat mehr Zeit, über die man selbst bestimmen darf, kann Interessen verfolgen, die bisher vernachlässigt wurden, kann sich aber auch genügend Ruhe gönnen, damit das nicht in Stress ausartet.

Abwärts

Man hat in der Regel weniger Geld (das allerdings sicher, die Ren­ten­versicherung kann einem nicht kündigen). Mit den Jahren nehmen die altersbedingten Krankheiten (= Ein­schrän­kun­gen) zu. Und die gesellschaftliche Anerkennung für "die Alten" ist recht fragwürdig.
Aber:

Was für die einen altes Eisen ist, ist für andere wertvoller Rohstoff.

Albert Schweitzer schrieb dazu:

Schafft euch ein Nebenamt, ein unscheinbares, vielleicht ein ge­heimes Nebenamt. Tut die Augen auf und suchet, wo ein Mensch oder ein Menschen gewidmetes Werk ein bisschen Teilnahme, ein biss­chen Gesellschaft, ein bisschen Arbeit eines Menschen braucht. Vielleicht ist es ein Einsamer oder ein Ungeschickter, dem du etwas sein kannst. Vielleicht ist es ein Greis oder, ein Kind. Oder ein gutes Werk braucht Freiwillige, die einen freien Abend opfern oder Gänge tun können. Wer kann die Verwendungen alle auf zählen, die das kostbare Betriebskapital, Mensch genannt, haben kann! An ihm fehlt es an allen Ecken und Enden! Darum suche, ob sich nicht eine Anlage für dein Menschentum findet. Lass dich nicht abschrecken, wenn du warten oder experimentieren musst. Auch auf Enttäuschungen sei gefasst. Aber lass dir ein Nebenamt, in dem du dich als Mensch an Menschen ausgibst, nicht entgehen. Es ist dir eines bestimmt, wenn du es nur richtig willst.

Planung des Ruhestands

Um in der neuen Lebensphase nicht orientierungslos abzusacken, ist es ratsam, sich in den 12 Monaten davor, spätestens aber in den ersten drei Monaten konkrete Gedanken zu machen. Über künftige Ziele und über die Strukturierung des Alltags.

Ziele / Aufgaben:

Nützlich zur Verarbeitung des Übergangs ist auch, sich eine Tabelle zu machen: Auf der einen Seite, was sich verschlechtert, auf der anderen, was sich verbessert. (Vgl. den Ansatz oben in "Was kennzeichnet den Ruhestand?")

Strukturierung des Alltags:

Diese Pläne kann man in den Wochenenden und Urlauben schon mal ausprobieren.

Bei all dem besteht kein Grund zur Sorge, dass man sich zu sehr festlegt oder einschränkt, dass die Spontaneität verloren geht. Zum einen lassen sich Pläne ändern, wenn sie sich als fehlerhaft erweisen, zum anderen sagte schon Elias Canetti:

"Man kann nur leben, indem man oft genug nicht macht, was man sich vorgenommen hat."

Der Übergang

"Was machst du denn, wenn du in den Ruhestand gehst?"
"Zuerst setze ich mich 14 Tage in einen Schaukelstuhl."
"Und dann?"
"Dann fange ich an, etwas zu schaukeln."

Irgendwann kommt dann der letzte Arbeitstag. Um sich seelisch vom Erwerbsleben zu lösen, statt immer wieder zurückzudenken, ist es nützlich, irgendein Ritual durchzuführen, das einen deut­li­chen Schlussstrich zieht.

Z.B. ist ein Manager, der schon immer eine Pilgerreise machen wollte, am letzten Arbeitstag mit gepacktem Rucksack ins Büro gegangen und nach der Abschiedsfeier von dort aus aufgebrochen, ohne vorher noch mal nach Haus zu gehen.

Ich selbst habe nach meiner Heimkehr am letzten Arbeitstag die Tasche entleert, die ich täglich dabei hatte, habe sie demonstrativ in der Mülltonne versenkt, noch bevor ich den Mantel auszog, und das Ganze per Foto dokumentiert.

Der nächste Tag ist ein Sonntag, egal welcher Wochentag es ist. Und dieses Wochenende kann eine ganze Woche ausgedehnt werden. Dann aber muss der geplante Alltag einsetzen, damit man nicht versumpft. Im Lauf der nächsten Wochen und Monate wird sich dann herausstellen, wie die ursprünglichen Pläne nachgebes­sert werden müssen, damit sie zufrieden stellend funktionieren.

Du hast schon andere Übergänge überstanden: Den ersten Schul­tag, den ersten Arbeitstag und vielleicht noch mehr. Du wirst auch den Ruhestand meistern.

Herbstlaub

Du hast nun zwei bis vier Jahrzehnte vor Dir, die schön und bunt sein können. Du musst Dich nur dafür entscheiden, und sie gestalten.

Oder wie es Martin Buber ausdrückte:

Alt sein ist eine herrliche Sache,
wenn man nicht verlernt hat,
was anfangen heißt.

 


Dieser Text steht auch als PDF zum Download zur Verfügung. Doppelseitig ausgedruckt ergibt er ein A5-Faltblatt.